User:Aschmidt/Bestandsaufnahme Wikinews 2013
In der Diskussion um die Schließung von Wikinews auf Meta-Wiki hat sich auch User:Tempodivalse zu Wort gemeldet, der den mittlerweile geschlossenen Wikinews-Fork OpenGlobe betrieben hatte. Tempodivalse hat eine hintergründige Analyse zum Bürgerjournalismus im Allgemeinen und zu den Bedingungen, unter denen Wikinews geschrieben wird, gegeben. Auszüge:
- „The fundamental question is, to what extent is the journalism model realistically workable through the wiki medium. … Wikinews is the odd man out. Journalism demands a perpetual flow of content. With paid journalists, there is no difficulty in satisfying this demand because that is their job. But what happens when you replace paid workers with volunteers who write in their free time? The content flow becomes inconsistent since there is no schedule that must be adhered to. You can’t fire volunteers for not contributing enough.| Picture a bowl with many small holes. If you pour water into the bowl at a fast enough rate, water will accumulate despite the leakage. But the moment the water flow stops, the bowl empties. The water, in this analogy, is content and usefulness; the bowl is the wiki. Wikinews has to struggle against this sieve every day. As a result, it has no chance of slowly evolving into a large, broad project like the other wikis, whose bowls are watertight. Instead, it can only hope to break even in the short-term. … I do not believe Wikinews is a failure. But it’s not a success, either, and I believe it is inherently unable to succeed. … If you look at existing citjournalism websites (e.g. IndyMedia), you’ll notice that most, if not all, consist primarily of biased reports and/or tabloid-quality content. The contributors’ main motivation is the ability to air their views in a prominent forum. Contrariwise, there is little to no incentive for people to write neutrally and professionally for free.“
Ein angestellter Redakteur würde sicherlich für einen kontinuierlichen Strom an Nachrichten sorgen, es wäre aber fraglich, ob die Communities das wollten, fügt er noch hinzu.
Wikinews funktioniert wie Wikipedia: Ehrenamtliche Autoren schreiben und redigieren in ihrer Freizeit Texte, in diesem Fall nicht, wie in Wikipedia, über enzyklopädische Themen, sondern über Nachrichten im weitesten Sinne. Dabei sind sie, wie in Wikipedia, dem Prinzip des neutralen Standpunkts verpflichtet, und sie müssen die Quellen angeben, auf die sie sich stützen. Die deutschsprachige Wikinews hat derzeit vier Autoren, die mehr 100 Bearbeitungen und 16, die mehr als fünf Bearbeitungen im Monat vornehmen. Sie veröffentlichen langfristig durchschnittlich zwei Artikel am Tag. Zum Vergleich: Die deutschsprachige Wikipedia hat etwa 1000 Autoren mit mehr als 100 und etwa 7000 Autoren mit mehr als fünf Bearbeitungen im Monat bei einem Output von gut 400 Artikeln pro Tag. Wikinews hat einen Alexa-Traffic-Rank von 34595, während Wikipedia weltweit auf Rang 6 liegt.
Die Frage, ob man Wikinews schließen sollte, ist nicht mit Ja oder Nein zu beantworten. Maßgeblich ist, ob die Wikinews-Community Reformen zugänglich wäre oder nicht. Die Gründe für die Probleme, an denen das Projekt leidet, sind vielfältig – um einige zu nennen: Alle kennen Wikipedia, kaum jemand kennt ihre Schwesterprojekte, von denen Wikinews eines ist. Fast alle verfügbaren Autoren wollen in Wikipedia Artikel über aktuelle Ereignisse schreiben, aber kaum jemand möchte das in Wikinews tun. Wikinews kann nicht wachsen wie Wikipedia, denn Nachrichten sind abgeschlossene Ereignisse, für jede muß ein eigener Artikel angelegt werden, während Wikipedia-Artikel weiter bearbeitet und ausgebaut werden können. Ältere Artikel aber werden kaum genutzt. So gerät die ehrenamtliche Arbeit, die in das Projekt einfließt, schnell aus dem Blick.
Nicht zuletzt ist Wikinews auch ein Opfer der Blogosphäre. Plattformen wie Wikinews, indymedia, Net News Global oder GlobalVoices sind Nischenkanäle, von denen sich aber nur Wikinews ausschließlich an den Nachrichten-Mainstream anhängt. Es gibt kaum eigene Berichte („originäre Berichterstattung“) von Wikireportern, fast alles wird den großen Nachrichtenwebsites entnommen und unter Angabe der Quellen nacherzählt.
Vor allem aber sind Nachrichten kein knappes Gut. Zeitungen verkaufen sich auch deshalb immer schlechter, weil sie kaum exklusive Inhalte bieten. Die Informationsflut ist auch ein Grund, warum es immer weniger Bürger einsehen, noch Rundfunkgebühren für Tagesschau und heute zu zahlen, wenn ihnen die manipulativen Ergüsse der Nachrichten- und PR-Agenturen mit ihren Kampagnen und ihren Agenden ansonsten kostenlos hinterhergeworfen werden. Die wirklich wichtigen und interessanten Nachrichten erreichen uns heute über soziale Netzwerke und Blogs am schnellsten und am zuverlässigsten. Inhaltliche Korrekturen von Meldungen werden durch die leichte Verfügbarkeit unterschiedlicher Stimmen bewirkt, die nebeneinander in meinem Feedreader auftauchen. Die Angabe der ursprünglichen Quelle für eine Meldung dient daher in den meisten Fällen lediglich zur Prüfung der Inhalte bei Bedarf, wenn es wirklich einmal darauf ankommt.
Wirklich knapp sind dagegen Analysen. Der Erfolg von Wikipedia im aktuellen Bereich geht auch darauf zurück, daß Leser Zusammenhänge erklärt bekommen möchten. Der Second screen boomt, man googelt neben den Nachrichtensendungen direkt nach ergänzenden Informationen, und die bietet ein Projekt wie Wikinews gerade nicht, das von vornherein über den Inhalt der Quellen, auf das sich die dortigen Artikel stützen, nach den selbst gegebenen Regeln nicht hinausgehen darf.
Außerdem liest man heute Autoren. Das Wikiprinzip sorgt aber für anonyme Texte, deren Urheber nur über die Versionsgeschichte abrufbar sind. Daß eine laufende Berichterstattung zu allen denkbaren Themen am Zufallsprinzip bei der Erstellung und an der geringen Mitarbeiterbasis scheitert, ist nur ein Aspekt, der einer Verbesserung bedürfte.
Der deutschsprachigen Wikinews fehlt es vor allem an einem guten redaktionellen Konzept, und den Artikeln fehlt es an Hintergrund, am Erklären von Zusammenhängen und an kritischen Standpunkten. Das wäre auch mit wenigen, aber guten Autoren zu leisten und böte „einen Mehrwert“ für die Leser. Eine Nachrichten-Website, die das heute angesichts der meinungsstarken Blogs nicht mehr aufbietet, hätte aber tatsächlich keine Daseinsberechtigung mehr.
Wikinews wurde 2005 gegründet, und der Bürgerjournalismus wird mittlerweile durch die Blogger, durch die Blogosphäre erledigt. Er braucht keine großen Portale mehr. Jeder kann innerhalb von Minuten ein eigenes Blog eröffnen und seine Meinung beitragen. Unter diesen Umständen muß sich auch ein großer Dampfer wie Wikimedia schon einiges einfallen lassen, um Autoren zur Mitarbeit auf einer kleinen Galeere wie Wikinews zu bewegen, die zudem im großen Ozean des Internets mangels Beachtung durch die Blog- und Nachrichtensuchmaschinen kaum sichtbar ist.